"Irre" in Versorgungshäusern des 19. Jahrhunderts

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Noch an der Wende zum 20. Jahrhundert basierten Behandlung, Pflege und Versorgung von Menschen mit psychiatrischen Beeinträchtigungen im historischen Tirol auf familiärer Fürsorge und lokaler "Irrenverwahrung". Kaum 30% der betreuungsbedürftigen Menschen wurde in den so genannten "Irrenanstalten" – Hall und Pergine – versorgt. Fast 32% der Betreuungsbedürftigen waren in den "Irrenzellen" der kommunalen Versorgungshäuser ("Armen-, Maroden-, Siechen-, Pfründnerhäuser" oder "Gemeindespitäler") untergebracht, wo sie entweder auf Kosten der Gemeinde, einer Stiftung oder des Landesfonds, die als Träger der Einrichtungen fungierten, oder gegen Bezahlung "verwahrt" wurden, ohne eine spezifische medizinisch-psychiatrische Behandlung zu erfahren.

Im Durchschnitt galten 1895 11% der in Versorgungshäusern lebenden Menschen als psychiatrisch krank. Viele der Versorgungshäuser sind aus den lokalen Spitälern hervorgegangen, andere auf Grund der Bestimmungen der Direktivregeln von Joseph II. und der Fürsorgepflicht der Gemeinden ("Heimatgesetz") in mehreren Gründungsphasen installiert worden. Die Versorgungslandschaft des historischen Tirol blieb mit seinen 145 Anstalten daher bis zum Ende des 19. Jahrhunderts äußerst inhomogen, ebenso die Qualität der lokalen Einrichtungen und die Pflegestandards. Der Großteil der überwiegend älteren Versorgungshäuser wies gravierende sanitäre und pflegerische Missstände auf, welche auch nur zum Teil durch die Vergabe der Aufsicht und Pflege an geistliche Orden beseitigt werden konnten. Große Versorgungshäuser bestanden in Hall ("Zufluchtshaus") mit 250, in Innsbruck ("Städtisches Versorgungshaus" und "Städtisches Armenhaus") mit insgesamt 290 und in Rankweil ("Valduna") mit 180 Versorgungsplätzen.

Im Zuge der "Euthanasie"-maßnahmen wurden als "Lebensunwerte" oder "Erbkranke" kategorisierte Menschen auch aus Versorgungshäusern verschleppt und getötet. Nach 1945 sollten viele dieser Einrichtungen aufgelassen oder in Pflegeheime für alte Menschen oder für Menschen mit psychischen, körperlichen oder geistigen Einschränkungen umgewandelt, die Einrichtungen zum Teil disloziert und umbenannt werden. E.D.-D.